Definition: Sturz

Wie ist ein Sturz in der Pflegewissenschaft definiert?

Ein Sturz ist (1) ein dynamisches Ereignis, das (2) auf einer tiefen Ebene endet und (3) wieder die eigene Absicht geschieht.

Ein Weg, Sturzerkennungssysteme fachlich zu reflektieren liegt darin, zu prüfen, ob die Pflegewissenschaftliche Definition des Sturzes erfüllt ist: Steckt "Sturz" drin, wo "Sturz" draufsteht?

Definitionskriterien

  • Ereignis (Dynamik), in Abgrenzung zum statischen "Zustand"
    • Limitation: Der Endpunkt des Ereignisses ist definiert - nicht aber der Anfangspunkt (falls dieser nicht aus dem Wechsel zwischen Absicht und dem Unbeabsichtigten Moment heraus abgeleitet werden kann)
  • Endpunkt: Aufkommen auf einer tieferen Ebene relativ zur vorherigen Höhe der mittleren horizontalen Körperachse
    • Limitation: Die Definition lässt ausdrücklich offen, ob eine Person liegend, sitzend oder in anderer Position auf der niedrigeren Fläche aufkommt
    • Limitation: Unschärfe bei sich bewegenden Flächen oder schrägen Flächen kann zu Missinterpretation führen.
  • Absicht: Der Sturz erfolgt unbeabsichtigt (und grenzt sich damit von der Simulation eine Sturzes ab)
    • Limitation: Ursachen des Sturzes sind nicht Gegenstand der Definition

Abgeleitete Kriterien

  • Örtlich lückenlose Überwachung: Die Definition des Sturzes ist unabhängig vom Ort, definiert. Damit kann ein Sturz zunächst überall geschehen.
  • Zeitlich lückenlose Überwachung: Die Definition des Sturzes ist unabhängig von der Zeit. Deshalb ist ein Sturzereignisses zunächst immer möglich. Je geringer die Dauer eines Sturzereignisses ist oder je rascher eine gestürzte Person erkannt werden soll, umso mehr ist eine kontinuierliche Überwachung sinnvoll.
  • Kontinuierliche Überwachung: Die fachlich begründete, kontinuierliche Überwachung (aka "e-care surveillance", "Monitoring") bedarf der Diskussion. Als Eckpunkte der Diskussion werden die Transparenz darüber, ob und was genau überwacht wird, die (informationelle Selbstbestimmung, Lebensqualität, Würde sowie der Umgang mit den daten benannt (vgl. Lehmann et al. 2018, S. 227, 229-230). Wissen um die Überwachung kann zu einer Veränderung des Verhaltens oder Selbstzensur führen.
  • Fragmentierte Überwachung: eine Fragmentierte und unvollständige Überwachung kann ein verzerrtes Bild zur überwachten Person erzeugen, das sich auf die Ausgestaltung von Interventionen auswirken kann. (vgl. Heesen 2017, S. 495, 497–498; 183 Remmers 2019, S. 417; Hülsken-Giesler et al. 2019, S. 357–361)
  • Faktor Angst: Reduziert das Sturzerkennungssystem den Sturzrisikofaktor "Angst", kann das Sturzrisiko zunächst reduziert sein, weil das Fenster der Gelegenheiten (vgl. Hartmann 2013, S. 52) verkleinert wird.
    • Rebound-Effekte: Wird das Verhalten in der Folge riskanter, kann das Sturzrisiko steigen (Rebound-Effekt 1). Das riskantere Verhalten kann wiederum sensomotorische Ressourcen stärken und so kausal auf das Sturzrisiko einwirken und es reduzieren (Rebound-Effekt 2)

Definition „Sturz“

„Ein Sturz ist ein Ereignis, bei dem der Betroffene unbeabsichtigt auf dem Boden oder auf einer anderen tieferen Ebene aufkommt.“ (Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege in Anlehnung an die WHO (2007); weiterführend: Expertenstandard Erhaltung und Förderung der Mobilität).
Der Expertenstandard ergänzt: „Hiermit sind auch Stürze gemeint, in deren Folge die Betroffenen den Boden oder die tiefere Ebene nicht mit dem ganzen Körper berühren, sondern dort auch beispielsweise sitzen oder hocken. Häufig kann im Beisein von Pflegefachkräften ein Sturz so weit abgefangen werden, dass es nicht zu einer Berührung des Körpers mit dem Boden kommt. Diese „Beinahestürze“ geben wichtige Hinweise auf zugrunde liegende Risikofaktoren, wie eine beeinträchtigte Balance oder eine orthostatische Hypotonie, wie z. B. nach dem Aufstehen.
Die Expertenarbeitsgruppe hat sich darauf geeinigt, dass Beinahestürze nicht als Stürze zu definieren sind, aber im pflegerischen Alltag im Rahmen der Risikoeinschätzung berücksichtigt werden sollten.“



Kritische Würdigung

  • Gibt es weitere Sturzdefinitionen, die berücksichtigt werden sollten? Wir freuen uns über Anregungen!
  • Obwohl Stürze als unbeabsichtigt definiert und unerwünscht sind, kann argumentiert werden, dass sie kein Pflegeproblem darstellen. Denn: Stürze gelten bei Kindern und Jugendlichen als normal und sind anders zu betrachten als bei kranken und/oder älteren Erwachsenen (vgl. DNQP 2013, S. 16). Das Pflegeproblem liegt in den Sturzfolgen!




Quellen